Der Irrtum vom bedingten Glück
Wenn ich Kindern beim Spielen zuschaue, ahne ich manchmal, was Glück meint. Wenn Kinder sich ungestört fühlen, können sie ganz im Augenblick versunken sein. Für sie scheint dann nichts interessanter zu sein als dieser eine Käfer. Nichts scheint dann erfüllender, als sich zu dieser Musik im Kreis zu drehen.
Doch irgendwann im Laufe des Lebens verändert sich etwas. Wir machen Erfahrungen, die uns glauben lassen, dass das Glück irgendwie eine komplizierte und mühsame Angelegenheit ist. Wir glauben dann, dass unser Glück an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft ist.
Die meisten von uns meinen, man müsste sich dafür anstrengen und sich dem Glück würdig erweisen - nach dem Motto: Wenn Du Dich heute genug anstrengst, winkt Dir morgen das Glück als Belohnung. Deshalb erinnert die Glückssuche von Erwachsenen zuweilen an den Esel, der ständig einer vorgehaltenen Möhre hinterher trabt, sie aber nie zu fassen bekommt.
Ein Beispiel: Ich erinnere mich an eine Frau, die ich begleiten durfte. Sie litt darunter, dass sie dazu neigte sich selbst oft zu überfordern. Sie wünschte sich mehr Zufriedenheit und Leichtigkeit in ihrem Leben. Nach einigen Sitzungen fand sie heraus, dass sie in ihrem Leben die Anschauung verinnerlicht hatte: "Einen wirklichen Wert hat nur, was irgendwie schwer ist. Je mehr Mühe etwas bereitet, umso sinnvoller ist es." Für die Frau war diese Erkenntnis befreiend, denn jetzt konnte sie spüren, wie überfordernd diese bislang unbewusste Überzeugung war. Sie lernte ihre festgefahrene Sicht zu hinterfragen und zunehmend eine andere, leichtere Lebensmelodie zuzulassen: "Glück muss nicht immer mühsam sein!"
Das Beispiel zeigt mir nicht nur, dass wir es oft selbst sind, die unser Glücklich-Sein boykottieren. Es zeigt auch, dass wir für unser Glück etwas tun können.
Das eigene Glück in die Hand nehmen
Dafür finde ich es lohnend, sich einmal selbst zu fragen: Welches ist mein Konzept vom Glück? Oder: Was ist meine "Möhre", der ich hinterherjage? Welche Bedingungen halte ich für unabdingbar für mein Glück? Und sind die wirklich alle förderlich?
Wie fühlt sich Dein Glück an?
Gern lade ich Dich zu einer Übung ein. Hier findest Du die Audiodatei.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Glück bis zu einem gewissen Maß erlernbar ist.
Ich darf es mir gönnen und mir mehr und mehr zu eigen machen.
So kann ich mit wachsender Klarheit darauf achten, was mir gut tut.
Und meine Sinne für jene Momente öffnen, die mich stärken und mit neuer Lebensenergie füllen.
Impulse
Dafür hier noch ein paar Anregungen. Suche Dir heraus, was Dich davon anspricht:
- Lege ein Glückstagebuch an. Schreibe an jedem Abend auf, wofür Du heute dankbar bist, was Dich heute dankbar/zufrieden gemacht hat.
- Nimm Dir am Morgen ein paar Minuten Zeit, um Dir bewusst zu machen, was Dir an diesem Tag wirklich am Herzen liegt.
- Wenn Du Dir heute selbst etwas schenken könntest, was wäre das?
- Mache heute einmal etwas anders als gewohnt: Geh auf einem anderen Weg zur Arbeit... Teile einem anderen Menschen mit, was Du an ihm wertschätzt...
Zitat
Glücklichsein ist nur im gegenwärtigen Moment möglich.
Eine unserer grundlegendsten Fehleinschätzungen ist es zu glauben, Glück sei nur in der Zukunft möglich. Wir denken: "O nein, im Moment gibt es noch nicht genug, was mich glücklich macht. Ich brauche noch ein paar weitere Bedingungen, um glücklich sein zu können." So opfern wir die Gegenwart für die Zukunft. Doch wenn wir in der Gegenwart wirklich ganz präsent sind, werden wir sehen, dass wir mehr als genug Voraussetzungen haben, um glücklich zu sein.
aus: Thich Nhat Hanh, Sei liebevoll umarmt, Kösel Verlag